Im September durfte ich auf der Führungskräftetagung der CAREUM-Weiterbildung in der Schweiz einen Vortrag zum Thema „Führen mit Fragen“ halten. ZuhörerInnen waren TeamleiterInnen und andere Führungskräfte aus dem medizinischen Bereich: Pflegedienstleitungen, Stationsleitungen, Verwaltungsangestellte …
Was kann ich für diese Menschen tun, damit sie die Wirksamkeit richtiger Fragestellungen und der Genauigkeit beim Hinhören auf Fragen erkennen können und selbst erfahren? So lautete meine Vorbereitungsfrage für diese Keynote.
Ich entwickelte eine Übung, die ich für weitere Vorträge in diesem Jahr verfeinerte. Das Prinzip ist denkbar einfach:
Ich bitte die Teilnehmenden sich zu beginn eine Frage zu überlegen, die sie gerade im Themenkontext der Veranstaltung beschäftigt. Sie sollen diese Frage dann für sich notieren und einem Übungspartner stellen. Der oder die ÜbungspartnerIn überlegt sich dazu eine Antwort, gibt diese jedoch nicht, sondern notiert diese in Stichpunkten für sich.
Anschließend bitte ich jede*n zur eigenen Frage zurückzukehren und nun einem Gedankenexperiment zu folgen. Ich frage dann alle – während ich das Modell der Gesprächslandkarte 8×8 entwickle – sie mögen sich in Gedanken nochmal überlegen, welches Ziel sie eigentlich mit ihrer Frage verfolgen. Und sie mögen sich Gedanken dazu machen, woher und wobei ihre Frage entstanden ist. Ich frage also eine ganze Zeit lang zu den Hintergründen der ursprünglichen Frage und nach der Darstellung des Modells bitte ich jeden nochmal ganz genau zu überlegen, ob die eigene Ausgangsfrage noch die selbe ist, oder ob sich diese verändert hat. Falls sie sich verändert hat, bitte ich darum, diese veränderte Frage nun zu notieren und dem Übungspartner zu stellen. Anschließend bitte ich den Übungspartner seine oder ihre Antwort auf die erste Frage zu erinnern und auszusprechen. Derjenige, der eine wirklich hilfreiche Antwort erhalten hat, möge nun aufstehen.
Bei allen weiteren Vorträgen konnte ich feststellen, dass im Auditorium teilweise niemand, teilweise lediglich 1-2 Menschen aufstanden.
Was hat das aber zu bedeuten?
Letztendlich zeigt es, dass die ersten Fragen, die wir für gewöhnlich stellen, noch lange nicht diejenigen sind, um die es uns eigentlich geht. Dass die meisten Antworten, die wir direkt erhalten (aus welchen Gründen auch immer) an dem vorbeigehen, was uns eigentlich beschäftigt. Und das wiederum bedeutet jede Menge unnötiger Kommunikation.
In diesem Sinne ist es sehr hilfreich, die eigenen Fragestellungen – bevor wir sie stellen – durch ein paar Überlegungen so zu konkretisieren, dass wir auch aus den Antworten wirkliche Hilfestellung erwarten können. Dazu reicht es, sich Gedanken darüber zu machen
- wo die eigene Frage ihren Ursprung hat
- welche Fakten maßgeblich für die Entwicklung der Frage waren
- welche eigenen Vor-Urteile und Meinungen diese Frage stützen
- welche Zielsetzung mit der Frage erreicht werden will und
- welche konkreten Schritte unternommen werden können, um dieser Zielsetzung einen Schritt näher zu kommen.
Diese Grundfragen stellte Lex Bos bereits in seiner Dynamischen Urteilsbildung. Ergänzt man nun noch ein paar Fragen hinsichtlich der Widerstände, die man selbst dabei empfindet, ist man sehr schnell an der Frage, um die es wirklich geht.
Diese Vorgehensweise erscheint zwar sehr einfach, oft stellt sich jedoch heraus, dass dies in der Realität erst geübt werden muss. Zu schnell lassen wir uns dazu verleiten, Antworten zu geben, die unserer eigenen Zielsetzung entspringen und unserer eigenen Erfahrung – und damit jenseits der Wirk- und Erfahrungswelt des Fragenden liegen.
In diesem Sinne wünsche ich besinnliche Weihnachten, Zeit für Fragen zwischen den Jahren (vgl. dazu auch gerne Die Zeit zwischen den Jahren) und einen guten Start in 2023!