Immer mehr Unternehmen setzen auf selbstorganisierte Teamarbeit. Sie erhoffen sich davon eine bessere Mitarbeitermotivation und damit eine grössere Leistungsbereitschaft der Teams. Eine Entlastung der Führungskräfte und eine schlankere Organisationsform könnten die Folge sein. Doch warum scheitern derartige Versuche?
Vor etlichen Jahren begann ein grosser internationaler Konzern für die Mitarbeitenden in der Produktion selbstorganisierte Teams einzuführen. Alles klang so verlockend. Der Betriebsrat und die Geschäftsführung waren sich einig und das Abenteuer begann. Es wurden Teams entlang der Produktionseinheiten gebildet und Teamsprecher gewählt und geschult. Auch die Teams erhielten eine Anfangsschulung, in denen sie auf die Aufgaben der Selbstorganisation fokussiert wurden. Die Führungskräfte wurden mit zusätzlichen Schulungen auf eine geänderte Situation vorbereitet.
Nach 5-6 Jahren zeigte sich jedoch, dass die erhofften Erwartungen nicht erfüllt wurden. Als Mitglied eines Beratungs- und Changebegleiterteams analysierten wir, was passiert ist. Hier ein paar Insights:
Warum es nicht gelang
Die Teams wählten zu ihren Sprechern diejenigen, die sich gut selbst darstellen konnten. Manche dieser Selbstdarsteller nutzten ihre Chance, um sich aus der praktischen Arbeit herauszuziehen, und die anderen machen zu lassen. Das führte zu einer Mechanik eines Vorarbeiters, der jedoch keine Weisungsbefugnis hat. Konflikte waren vorprogrammiert.
Zwar lernten die Sprecher und Stellvertreter in ihren Trainings Hintergründe zu Konflikt- und Teamdynamiken, jedoch fehlte ihnen Praxisknowhow in der Führung von Besprechungen und der Herbeiführung von Entscheidungen. Stimmungsbilder einzelner wurden als Gruppenentscheidung gewertet, obwohl keine Abstimmungen dazu erfolgt waren.
Manch ein gewählter Teamsprecher war schlicht überfordert in der Steuerung des Besprechungsverlaufs. Das ist nur nachvollziehbar, wenn man es mit Handwerksberufen zu tun hat. Viele der Mitarbeitenden sind in handwerkliche Berufe gegangen, weil die Beschäftigung und Steuerung sozialer Prozesse keinen Anreiz für sie bildet. Eine Schulung von Hintergründen stellt damit eher eine Überforderung dar. Alternativ ist eine Schulung von der Steuerung konkreter Besprechungen wesentlich erfolgsversprechender.
Die Führungskräfte griffen wiederholt autoritär in Entscheidungsprozesse der Teams ein und zerstörten damit das Vertrauen der Teams in die Funktionalität der Selbstorganisation.
Teammitglieder und Teamsprecher versteckten sich hinter der Aussage „Das organisieren wir selbst, da müssen wir dem Meister keine Antwort zu geben“ und verhinderten die übernahme von Verantwortung. Stattdessen ergab sich an der Schnittstelle des Meisters zum Sprecher eine Verantwortungsdiffusion.
Verantwortung ist nicht teilbar
Verantwortung ist immer an Menschen gebunden. Aufgaben sind teilbar in Unteraufgaben. Der Bauer erzeugt das Getreide, der Müller mahlt es, der Bäcker backt das Brot. Für die Entstehung des Brotes sind drei Menschen verantwortlich. Eventuell kommt noch der Transporteur dazu und bis es bei uns auf dem Frühstückstisch liegt auch noch der Händler. Jeder hat seinen Spezialistenpart, in dem er Entscheidungen treffen muss, Konsequenzen abschätzt, Risiken eingeht aber vorallem den Prozess eigenständig vorantreibt.
In zahlreichen Führungskräfteworkshops habe ich diese gefragt, ob sie einem Mitarbeitenden, der keine Verantwortung übernehmen will, diese übergeben würden. Die Antwort lautete unisono: „Auf keinen Fall“. Mit der Einrichtung der Selbstorganisierten Teams wird genau an dieser Stelle häufig unsauber gearbeitet. Dem Team wird die Verantwortung übertragen. Doch ein einzelnes Teammitglied, welches die Verantwortung nicht tragen will, bringt das ganze Team in Schwierigkeiten. Dieses Teammitglied wird durch den Zwang im Team mitarbeiten zu müssen zum Misslingen beitragen. Denn neben der Selbstorganisation der ohnehin komplexen Aufgaben kommt jetzt auch noch die Bewältigung von Konflikten, die Entwicklung der Teamdynamik und damit verbunden eine hohe Sozialkompetenzerwartung an Sprecher und Stellvertreter ins Spiel.
Wie kann es gelingen?
Zwei mögliche Wege zeichnen sich ab:
Einerseits kann man sehr sorgsam damit Umgehen, ob und welche Verantwortung in das Team gegeben werden. Erhält das Team lediglich kleine Entscheidungsräume oder kann es mitentscheiden, welche Verantwortlichkeiten es freiwillig übernimmt, ist die Aussicht auf Erfolg deutlich größer. Das bedeutet jedoch für den Einführungsprozess, dass eine Begleitung durch den Meister hier immer wieder nötig ist. Besser ist es hier sogar durch einen externen Moderator diese Entscheidungsprozesse zu begleiten.
Andererseits kann das Klären der wirklichen Verantwortlichkeit während der Teambesprechung durch Fragerituale geübt werden. Beispielfragen dazu sind: Wer erhält das Mandat für diese Aufgabe? Bis wann, mit wessen Hilfe werden die notwendigen Entscheidungen getroffen? Welche Konsequenzen gibt sich derjenige, der das Mandat erhalten hat, falls ihm die Aufgabe entgleitet?
Gerade die letzte Frage wird häufig nicht vom Eigner oder Verantwortlichen der Aufgabe beantwortet, sondern vom Vorgesetzten, Teamsprecher oder den anderen Teammitgliedern. Doch genau dann, wenn es zu Komplikationen kommt, äussert sich der Mandatsträger häufig in der Weise, dass er sagt: „das war ja eine Konsequenz, die ihr bestimmt habt. Ich war damit nicht einverstanden“. Und damit ist die Hintertüre für das Niederlegen der Verantwortung weit geöffnet. Deshalb ist massgeblich,
- welche Fragen innerhalb der Besprechungen aneinander gestellt werden,
- wie Teamentscheidungen und Delegationen von Aufgaben durchgeführt werden und
- wer die Antworten auf die Fragen zu liefern hat.
Evokatorische Führung
Da die Bedeutung von Fragen in den meisten Fällen nach wie vor unterschätzt wird, müssen wir lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Sie dürfen nicht suggestiv sein und das Gegenüber manilulieren. Stattdessen müssen sie dennoch zielführend zu Abstimmungen und Ergebnissen führen. Darüber hinaus sollten sie so wirken, dass der Antwortende seine persönlichen Antworten wertgeschätzt formulieren und weiterdenken kann. Nur dann können Eigenmotivation und Selbstverantwortung wachsen und aus Selbstorganisierten Teams mit Verantwortungsdiffusion selbstverantwortliche Teams entstehen.