Ist unser Fokus zu knapp gedacht?

Im Rahmen einer U-Journey überraschte mich die Entwicklung der Rollen der Transformationsbegleitung. Was ein anderer Fokus bedeuten könnte, darüber schreibe ich in diesem Artikel.

U-Journey – die Zukunft aussprechen lassen

Als Change-Begleiter konnte ich in den vergangenen Wochen und Monaten an vielen Stellen beobachten, wie Kolleginnen und Kollegen das Neue Neu gedacht haben. Endlich ist die Zeit der Purpose Driven Unternehmen angebrochen. Welche Rollen spielen Führungskräfte, Stakeholder und Transformationsbegleiter? Welche Veränderungen sind für Mitarbeitende und die ersehnte Work-Life-Balance möglich und nötig? Mit welchen Tools lassen sich auch Mitarbeiter einbinden und Kunden überzeugen? Welche neuen Narrative werden die Business-Innovation darstellen?

Diesen Fragen haben wir uns in einer U.x Journey gewidmet und mit 3D – und 4D Mapping genähert. Bei beiden Methoden geht es darum, ähnlich wie im Familienstellen nach Hellinger, Ist-Zustände und Soll-Zustände als Skulpturen zu erleben und dabei den Veränderungsprozess zu beobachten. Rollen werden definiert, mit großer Aufmerksamkeit wird von einzelnen Gruppenmitgliedern hineingespürt, Bewegungsimpulse werden aufgegriffen und beobachtet.

Oft spricht sich in diesen Sessions etwas aus, was alle Teilnehmenden als evident erleben. Scharmer nennt dies den Moment des Presencing, in dem sich „die Zukunft ausspricht“.

Die Überraschung

In unserem Setting gab es neben den klassischen Rollen der Stakeholder, Manager und Mitarbeiter auch die Rollen des Transformationsteams, der Erde und der Kinder. Letztere waren Repräsentanten der Angehörigen als auch der nächsten Generationen.

Was mich überrascht hat, war das Verschwinden der Transformationsbegleiter. Der gesamte Fokus aller Beobachter und auch der anderen Rollen wurde auf die Interaktion zwischen Erde und Kinder gezogen, verbunden mit einer Wandlung der Energie.

Bild von Esther Merbt auf Pixabay

Assoziativ dazu mag einem direkt Fridays for Future, totgeredete Nachhaltigkeitsdebatten der Erwachsenen und Umweltschädigungen durch Raubbau und Verschmutzung direkt in den Sinn kommen.

Fähigkeiten der Kinder

Es spielte für mich aber noch etwas Anderes eine Rolle: Was haben die Kinder an sich, was sie kindlich macht?

Da ist zum Beispiel ihre unfassbare Neugierde und Lernbereitschaft. Auch ihre Lebensfreude und ihr Nachahmungsdrang fallen mir sofort ein. Oder ihre Träume und Emotionalität. Der Umgang mit Fehlern, das Üben von neuen Fähigkeiten (sei es das erste Radfahren, Dribbeln mit dem Ball, Klettern, Gehen lernen etc.)

Unvoreingenommenheit fällt mir dabei auf. Die Anerkennung des Anderen, wie er ist, Respekt, Erkenntnis, was man noch nicht kann oder die gnadenlose Ehrlichkeit und Direktheit in der Auswahl der Freundschaften.

All diese Fähigkeiten scheinen uns im Stress des Berufsalltags abhanden gekommen zu sein. Dabei würden sie im Berufsalltag vieles erleichtern und ermöglichen – denke ich. Und um sicher zu gehen, ob mein eigenes Urteil stimmt, frage ich bei meiner Frau nach. Sie ist leitende Erzieherin in einem Kindergarten und hat sich intensiv mit der Reggiopädagogik beschäftigt und diese angewendet.

Kind oder Erziehungserfahrung?

„Dein Bild vom Kind klingt mir sehr romantisiert“ sagt sie. Und wieder beobachte ich einen Richtungswechsel in meiner Perspektive. Natürlich gibt es Kinder, die meinem Wunschbild des Kindseins entsprechen. Bedeutender ist jedoch etwas anderes: Eltern machen über viele Jahre die Erfahrung, dass sie etwas oder jemanden auf einen vorgedachten Weg bringen wollen. Manches gelingt, an vielen Stellen jedoch erfahren sie immer wieder, dass es nicht so geht, wie sie es wollen.

Bild von Esther Merbt auf Pixabay

So wie Kinder und Jugendliche uns ständig vor Augen führen, dass sie einen eigenen Willen, eine eigene Emotionalität und eigenes Denken haben, machen wir als Eltern ständig die Erfahrung, dass wir uns von diesem Eigenen nicht einfach trennen können. Erziehungserfahrungen von Eltern sind Kernerfahrungen für Change. Aus diesen gemeinsamen Erfahrungen heraus, ließe sich vielleicht der Wandel ganz anders gestalten.

Was kannst Du tun?

Konkret: Was wäre, wenn Manager und Mitarbeiter in Unternehmen regelmäßig in den Austausch über ihre Erfahrung bei der Erziehung ihrer Kinder gingen, ohne den Anspruch zu haben, daraus die Lösung für die nächsten Transformationsschritte zu entwickeln? Was wäre dann, wenn sie in einem zweiten Schritt den Fokus auf die Veränderungen und die Darin verborgene kindliche Neugierde, Willensstärke, Transparenz und Ehrlichkeit legen würden?

Als ich einen Teil dieser Gedanken vor ein paar Tagen mit einem Freund teilte, der eine Produktion eines mittelständischen Unternehmens mit über 100 Produktionsmitarbeitern leitet, fragte ich ihn: „Wie viele deiner Mitarbeiter wären bereit ein bisschen mehr Verantwortung zu übernehmen und damit Veränderung zu bewirken?“ Seine Antwort war ernüchternd mit geschätzten 15-20%. Als ich dann fragte „Mit wie vielen Mitarbeitern und Kollegen hast du dich über deine oder ihre Erziehungsfragen ausgetauscht?“ antwortete er: „Das sind schon einige“. „Ist die Wahrscheinlichkeit, dass du mit diesen Kollegen und Mitarbeitern Veränderung beginnst größer, als mit den anderen?“ Er erwiderte: „Ja, definitiv. Sich über Erziehung der Kinder auszutauschen ist schon etwas sehr persönliches und zeugt von einer anderen Qualität der Beziehung“. Könnte das ein neuer Fokus sein?

Eine Kinderwirkstatt als Denkraum

Wir würden mit dem Fokus auf unsere Erfahrungen im Umgang mit unseren Kindern die Aufmerksamkeit auf ein viel weiteres Feld legen. Fragen nach der Enkeltauglichkeit unserer Unternehmungen ließen sich an den persönlichen Erfahrungen aller Beteiligten entwickeln und vertiefen. Die Bedeutung von Wahl- oder genetischer Familie würde zunehmen und im Austausch darüber könnten andere Beziehungen geknüpft werden.

Bild von skalekar1992 auf Pixabay

Ich bin gespannt, ob sich jemand traut, solch eine „Kinderwirkstatt“ einzurichten, bei der auch Mitarbeitende gerne gesehen sind, die (noch) keine Kinder haben, aber die Erfahrungen über den Umgang mit wachsender Selbstverantwortung beobachten, lernen, begreifen wollen.

Weitere Informationen

Im Rahmen des Erfahrungsfeld-Bauernhof e.V. helfen wir Interessierten, Begegnungen auf Bauernhöfen zu ermöglichen, die nachhaltig und vorallem an den Fragen der Gäste orientiert sind. Viele gemeinsame Erfahrungen und die Begegnung auf Augenhöhe mit dem Gast, sind ein Grundprinzip. Dabei entdecken wir auch immer wieder die kindliche Freude der Erwachsenen. Der Vater, der seit Kinderzeiten mal Trecker fahren will, die Freude über die Erinnerung einer Rentnerin an ihre Kindheit mit dem Schweinestall, die humorvolle Erkenntnis über das eigene Mißverständnis selbst bei Fachleuten, die sich über ihre Annahmen und die Wirklichkeit austauschen.

Mehr dazu unter www.erfahrungsfeld-bauernhof.org

Über Olaf Keser-Wagner

Gründer des Erfahrungsfeld-Bauernhof e.V. Evokator, Dozent, Autor verschiedener Bücher zum Thema, wie man mit Fragen besser führen kann. Gelernter Landwirt, Agraringenieur, Geschäftsführer eines Kulturunternehmens und anschließend selbständiger UnternehmensKulturEntwickler. International MBA in Management and Communications 2014 nebenberuflich erworben. Seitdem Begleitung und Weiterentwicklung der Münchner Marketing Akademie und des gleichnamigen Weiterbildungslehrgangs an der FH-Wien der WKW, Mitinitiator der Everding-Akademie für Gemeinwohlökonomie, Entwickler von Katalyst - evocational gaming solutions

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