Die jüngsten Nutzerzahlen von LinkedIn zeugen davon, wie viele Menschen sich registrieren, Profile einrichten und sich darüber profilieren. Die magische Schwelle von 15 Mio. Nutzern im deutschsprachigen Raum wurde überschritten.
Wir sprechen hier in der Regel von Nutzern. Darin steckt der Nutzen, den der Nutzer aus dem Netzwerk zieht. Aber ist das wirklich so? Ziehen wir alle Nutzen aus den Social-Media-Plattformen und unserer Informationsgesellschaft?
Wir sind Informiert. Mal mit Fakenews, mal mit Fakten, oft in Farbe. Aber nutzt uns das?
Auf der anderen Seite steht die Urproduktion der Nahrungsmittel. Bauern, Bäcker, Metzger, Gärtner, Müller, Fischer, Waldarbeiter – und immer auch die dazugehörigen Frauen: Bäuerinnen, Bäckerinnen, Metzgerinnen, … Waldarbeiterinnen, Und nicht nur das: Hinter vielen dieser meist männlichen Berufe stehen Frauen oder Partner, die dafür Sorge tragen, dass der jeweils Andere seine urproduktive Kunst erfüllen kann. Wer einmal die Chance hatte, wirklich intensive Begegnungen mit diesen Menschen oder ihren Arbeitsorten zu haben, der erkennt schnell, wieviel Weisheit und Wissen für das Ausüben einer solchen, systemrelevanten Tätigkeit nötig ist.
Ich habe von 1989-1991 meine Lehre zum Landwirt absolviert. Ein Jahr arbeitete ich auf einem kleinen Schweinemastbetrieb mit „konventionelle“ Landwirtschaft im sogenannten geschlossenen System. Mein zweites Lehrjahr verbrachte ich in einer Betriebsgemeinschaft, ökologischer Landbau, Hofkäserei, Backstube, Hofladen. Meine Fähigkeit, Polaritäten zusammen zu denken, ist hier massiv geschult worden. Ich bin sehr dankbar für diese Ausbildung, auch wenn ich seit Beendigung meines agrarwirtschaftlichen Studiums nie mehr in der Landwirtschaft mitgearbeitet habe. Aber ich habe schätzen gelernt, was eine brotbildende Kunst ist.
Zurück zu den Social-Media-Netzwerken und der Nutzenfrage. Sprachlich haben wir den Begriff der Informations- und Wissensgesellschaft geprägt. Und unsere vielen Gedanken, auch die meines heutigen Artikels, tragen dazu bei, dass sie den Wissensgehalt erhöhen. Du liest vielleicht diesen Artikel und erfährst etwas Neues. es regt dich zum Denken an. Damit ist jedoch noch kein Brot entstanden.
Viele Texte, die ich finde, liefern mir keine Anregung, Neues zu denken. Oft ertappe ich mich dabei, dass ich einen Text gut finde, weil er meinen Glaubenssätzen entspricht. Damit bin ich jedoch noch keinen Schritt in meinen Gedanken weiter gekommen. Manchmal habe ich das Bedürfnis, solche Texte zu lesen, um mich gestärkt zu fühlen.
Manche Texte sprechen mich an, weil sie etwas Neues enthalten. Das kann eine andere Perspektive, eine Auseinandersetzung mit einem besonderen Begriff, ein Zusammenbringen von Aspekten, die ich vorher noch nicht zusammen. gesehen hatte, sein. Es ist dann das Andere, welches mich anregt. Damit ist aber auch noch kein Getreide gereift, kein Korn geerntet und kein Brot gebacken.
Seltener geben mir Texte und Informationen ein starkes Gefühl. Die Schlagzeilen und emotionalisierenden Bilder berühren mich meistens eher in einem Gefühl der Ratlosigkeit, manchmal auch der Trauer und Wut, noch seltener der Freude und Inspiration. Und hin und wieder finde ich Texte, Blogbeiträge, Podcasts, die meine Intuition anregen. Dann taucht plötzlich etwas auf, das ganz leise und doch sehr stark als evidenter Impuls in mir schlummert.
Solche Impulse haben dazu geführt, dass ich mich überhaupt mit Landwirtschaft beschäftigt habe, dass ich viele meiner Lebensmittel lokal kaufe und ökologisch erzeugt. Solche Impulse führen dazu, dass ich mein Verhalten plötzlich mit Leichtigkeit ändern kann. Und dann entstehen aus dem brotlosen Wissensvermittlungsdrang eines Anderen, Handlungsimpulse in mir, die mich zur Tätigkeit anregen.
Auch die Bauern, Bäcker und Waldarbeiter nutzen Social-Media und lassen sich inspirieren. Viele erklären und rechtfertigen ihre Tätigkeit. Manchmal findet man Artikel, die wirklich weise sind. Der Förster Wohlleben, der über die Sprache der Bäume spricht, die Bäuerin vom schweizer Könighof, die auf ihrem Instagramaccoumt einen Beitrag teilte, wie sie als Mensch mit ihren Fehlern wahrgenommen werden will, ein Buch über das Wesen der Kühe mit wunderschönen Bildern, die dieses Wesen transportieren…
Aber man muss sowohl bei der brotlosen, als auch bei der brotschaffenden Kunst nach solchen Quellen suchen. Und das Überangebot an Information überdeckt die Keime der Kunst.
Wo und wie holst Du dir deine Inspirationsquellen aus dem Worldwideweb?
Meditation, Achtsamkeit in der Natur, Bewusste Begegnung mit anderen Menschen … das sind ebenfalls solche Quellen, die Impulse setzen können. Und meiner Ansicht nach kommt es nicht von Ungefähr, dass gerade diese Quellen vermehrt genutzt und empfohlen werden.
Vor über 10 Jahren gründete ich gemeinsam mit Claudia Klebach den „Erfahrungsfeld-Bauernhof e.V.“ Ziel dieses Vereins ist es, die Verbindung zwischen Gesellschaft und Urproduktion zu stärken und bewusster zu machen. Wir haben dabei erfahren, dass die tiefe, sinnliche, entschleunigte Wahrnehmung zu Veränderungsimpulsen führt. Teilnehmer unserer Führungen melden sich am nächsten Tag und fragen, welche Milch sie kaufen müssen, damit die Tiere auf die Weide kommen. Beglückt berichten Erwachsene von Kindheitsträumen, die in Erfüllung gegangen sind durch die Begegnung mit Tieren, Maschinen, Hofsituationen. Inzwischen nutzen wir unsere Erfahrung, um auch für Unternehmen besondere Betriebsausflüge und Teamevents zu gestalten. Denn immer wieder werden die Teilnehmenden durch die Nahrung auf dem Tisch an die Momente der Begegnung erinnert.
Da nicht jeder als Landwirt, Metzger, Bäcker arbeiten kann und will, stellt sich mir die Frage, wie verwandeln wir unsere brotlose Kunst in Impulse, die unsere Welt etwas besser und lebenswerter machen. Und welche Impulse sind wir bereit aufzunehmen aus den unscheinbaren Gedanken der Vielen, die sich zur Situation äußern.